Zuschaltbarer AllradAntrieb -Die Technik

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13 Nov 2016 21:31 - 13 Nov 2016 22:05 #1 von MAB
4H und 4L beim Ford Ranger AB

Wie funktioniert das Ganze technisch?

Der Motor verteilt die Kraft über ein zentrales Verteilergetriebe (VTG) auf Vorder- und Hinterachse, wie bei anderen Allradsystemen auch. Im Gegensatz zum permanenten Allradantrieb findet sich jedoch im Verteilergetriebe kein Differential (=Mitteldiff.), sondern lediglich eine Kupplung, welche nur die beiden Betriebszustände "offen" und "geschlossen" kennt, also keinen Schlupf. Somit können Vorder- und Hinterachse entweder kraftschlüssig verbunden oder komplett getrennt werden. Beim Ranger wird die Hinterachse direkt angetrieben, während die Vorderachse dazu geschaltet werden kann.

Im VTG enthalten ist auch das Untersetzungsgetriebe, welches bei Bedarf die Übersetzung um den Faktor 2,71 reduziert (die Leistung bzw. das Drehmoment an der Achse also mehr als verdoppelt).
Dies realisiert auf den Faktor 2 bezogen bei halbierter Raddrehzahl das doppelte Drehmoment am Rad, und macht Steigfähigkeiten von 45 Grad und (rechnerisch) mehr erst möglich. Es lassen sich alle! Gänge schalten, aber eben mit der Untersetzung.

Beim Ranger gibt es einen Drehschalter über den die eigentliche Betätigung der Stellmotoren im VTG erfolgt.

Es gibt die Einstellungen 2H, 4H, 4L, siehe auch Betriebsanleitung

Die erste Zahl beziffert die Anzahl der angetriebenen Räder, "H" ist die Übersetzung für hohe/normale Geschwindigkeiten, "L" ist die Untersetzung zum langsamen aber kraftvollen Fahren im Gelände. Man sieht schon, dass 2L nicht vorgesehen ist, dies lässt sich aber u.U. durch Umbauten am VTG dennoch realisieren (wie z.B. beim alten Ranger) und kann beim Ziehen von hohen Lasten sinnvoll sein. Aber auch die Hinterachse wird dann alleine mit dem hohen Drehmoment belastet!


Wann sollte ich auf 4H/4L umschalten?

Der ganz entscheidende Punkt des zuschaltbaren Allradantiebes ist weiter oben genannt:

Es gibt kein Mitteldifferential,

Vorder- und Hinterachse (also VR/HR sowie VL/HL, aber nicht HR/HL sowie VL/VR) drehen im zugeschalteten Allradbetrieb immer mit exakt der selben Drehzahl. Das hat keinerlei Nachteile solange man nur geradeaus fährt - in Kurven jedoch legt die Vorderachse einen längeren Weg zurück als die Hinterachse, müsste somit also auch schneller drehen. Durch die feste Verbindung von vorderer und hinterer Kardanwelle im Verteilergetriebe kann sie es aber nicht.

Dies hat zwei entscheidende Nachteile auf die Fahrdynamik:

Das Einbremsen der Vorderachse in Kurven vergrößert den Wendekreis und lässt das Fahrzeug stark untersteuern, die Rückstellkräfte im Lenkrad sind ebenfalls sehr hoch. Weiterhin ist die Bremskraftverteilung nun auf einmal auch nicht mehr frontlastig, sondern zu gleichen Teilen auf beide Achsen verteilt - die Hinterachse neigt also zum Überbremsen.

Zusammenfassend: der zuschaltbare Allradantrieb und Kurven vertragen sich nicht!

Man muss also abwägen, wann man die Traktionsvorteile des zuschaltbaren 4x4 wirklich benötigt oder eben auch nicht.

Dabei ist zu beachten:

Auf festem Untergrund benötigt man zuschaltbaren 4x4 definitiv nicht,
denn dort kommen auch alle 2WD-Fahrzeuge problemlos voran.

Gleichzeitig kann die Verwendung auf festem Untergrund schwere Schäden am Antrieb nach sich ziehen, wenn es nicht gelingt die durch die Drehzahlunterschiede auftretenden Verspannungen im Antriebsstrang durch Radschlupf auszugleichen. Haften die Räder zu gut, gibt irgendwann ein anderes Bauteil nach - und das kann vom Verteilergetriebe über dessen Aufhängung, den Kardangelenken, den Antriebs- und Gelenkwellen bis hin zur Freilaufnabe einiges an teuren Teilen sein.


Was soll man dann mit 4H/4L?


4H/4L dient nicht der Verbesserung der Fahrdynamik (wie z.B. beim Audi Quadro), sondern er hat das Durchkommen in schwierigen Untergründen zum Ziel. Dafür bedarf es keines Mitteldifferentials - denn das würde sowieso gesperrt, um nicht alle Kraft an einem freien Rad verpuffen zu lassen.

Denn auch den Umkehrschluss beachten:

Ein freies Rad bei drei (incl. Mittel-Diff.) offenen Differentialen hätte eine Schussfahrt! zur Folge,wenn man mit der Motorbremse einen steilen Hang hinunter will und ein Rad dabei den Bodenkontakt verlöre und dann keine Motorbremse mehr wirkt.
(Anm.: Hier würde beim Ranger noch die Traktionskontrolle, die Bergabfahrhilfe oder das ESP eingreifen können).

Auf losem Untergrund und im Gelände ist der Zuschalt-Allrad mindestens genauso gut und brauchbar wie jeder andere 4x4.
(auf der Straße darf man ihn zwar nicht verwenden, benötigt aber auch nicht zwingend vier angetriebene Räder, was die Mehrzahl der PKW/LKW mit nur einer angetriebenen Achse beweist).

Etwas schwierig wird das bei winterlichen Straßenverhältnissen, wo das Wissen um "ich habe Allrad" eine Überlegenheit über die "normalen" PKW/LKW suggeriert, so aber nur eingeschränkt gültig ist.
Tatsächlich bezieht sich der Vorteil beim Zuschalt-Allrad aber nur auf Anfahren und Durchkommen, die Fahrdynamik s.o. ist eher schlechter - das ist den meisten Fahrern leider nur schlecht zu vermitteln.
Die Verbrauchsreduzierung durch das Abschalten nicht erforderlicher Teile ist mehr grüne Politik. Mit zugeschaltetem Allrad fährt man nicht all zu schnell (ist auch wenig sinnvoll ohne Mitteldifferential), in 4L sowieso nicht.


Was macht eigentlich die Diff-Sperre an der Hinterachse?

Eine 100% Sperre des Hinterachs-Diff. bewirkt, dass das linke und das rechte Hinterrad die gleichen Umdrehungen machen, auch wenn ein Hinterrad in der Luft hängt (durchdreht). Daher gibt es immmer noch die volle Leistung am anderen Rad und man kommt auch in solchen Situationen im Gelände noch weiter.
Ohne Sperre würde das Rad in der Luft voll drehen und das andere hätte keine Leistung mehr, es bleibt also stehen und damit das ganze Auto.

In Verbindung mit einem zuschaltbaren Allrad ohne Mitteldiff. ist bei einer Sperre des Hinterachs-Diff. dann auch noch die Vorderachse angetrieben.

Auch die Vorderachse könnte noch zusätzlich mit einem Diff. gespert werden, was aber nur in sehr extremen Geländesituationen notwendig werden wird. Kurven sind so aber quasi nicht mehr fahrbar, da ja alle 4 Räder fest miteinander "verbunden" sind und die gleiche Umdrehungszahl machen müssen.

Der Ranger kann ein Sperrdiff. durch das ESP/Traktions-Kontrolle simulieren, in dem er das durchdrehende Rad abbremst und so Leistung auf das andere Rad überträgt. Dieser "Trick" reicht um aus den meisten unglücklichen Situationen wieder raus zu kommen.
Nachteil ist, dass nur eine verminderte Antriebsleistung an dem Rad mit Grip ankommen kann und die restliche Leistung der anderen Seite durch die Bremse fast nur in Wärme umgewandelt wird. Also nichts für den Dauerbetrieb. Auch greift die Trakions-Kontrolle erst ab einer bestimmten Raddrehzahl, was ein vorsichtiges Fahren im schwierigen Gelände erschwert.
Wer also sehr oft die Grenzen des Ranger im anspruchsvollen Gelände ausloten will, sollte mit einer oder auch zwei Achs-Diff-Sperren aufrüsten. Ein Mittel-Diff. wird -so weit ich weis- bisher nicht angeboten.

Grundsätzlich ist zu bemerken, dass das Fahren im (schwierigen) Gelände nichts mit dem Fahren auf der Straße zu tun hat und unbedingt in Theorie und Praxis gelernt werden sollte.
Mal eben so ins anspruchsvolle Gelände preschen "weil man ja einen Ranger fährt" ist nicht wirklich zu empfehlen; besonders Steilstellen >25% und Wasserdurchfahrten können sehr tükisch und gefährlich sein.

Und wer nur gelegentlich mal einen Feldweg oder im Wald unterwegs ist, ist wohl für fast alle Situationen mit dem Ranger 4x4 bestens versorgt.
Im Winter oder in extremen Gelände kann man auch beim Ranger an der Hinterachse Ketten montieren, um mehr Grip zu erhalten. Ketten sorgen natürlich dann auch für kürzere Bremswege auf Schnee etc..

Da schon so oft über den 4x4 des Ranger und seine Funktionen hier und auch anderen Orts diskutiert, gerätselt oder auch gelästert wurde, habe ich diese Abhandlung geschrieben. Sollte was nicht richtig beschrieben sein, bitte melden.

MlG
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13 Nov 2016 21:57 #2 von Skyrat
Ich bin begeistert von der sachlichen und technisch 100% richtigen Zusammenfassung - da hast du dir echt Mühe gemacht das zusammen zu schreiben. :daumenhoch:

Das sollten die Admins separat als "Allrad Funktion/Verwendung Bibel" des Ranger posten.

Dem Beitrag ist nix mehr hinzuzufügen - bin begeistert :anbeten:

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13 Nov 2016 22:06 #3 von MAB
Hi Skyrat,

danke für die Blumen. :)

MAB

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13 Nov 2016 22:13 #4 von Cip

Nickel schrieb: Aber die Ranger sind ja lieber unter sich :bash:
Gruß Nickel


Muss das immer sein???

Davon wird es bestimmt nicht besser!!! :gelbe_karte

Lieben Gruß
Matthias



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13 Nov 2016 22:16 #5 von Nickel
Ja muss, nix sagen hilft auch nix

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13 Nov 2016 22:33 #6 von Cip
Wenn ihr schon im Ford Bereich mitlest, dann bitte auch richtig!!!

Aktuell ist das Thema 4WD Antrieb hier ziemlich präsent und daher MAB's Aufklärung welche logischerweise hier gepostet wurde um für alle, die sich an den anderen 4WD Threads beteiligt hatten Licht ins dunkle zu bringen.

Im allgemeinen Bereich hätten das nur die Hälfte gelesen...

Wenn ich die beiden Beiträge der Mitleser so lese, bekomme ich echt FRUST!!!

...und kann auch andere Ford Fahrer so langsam verstehen, die das auch nervt und schon die Idee hatten ein eigenes Ford Ranger Forum zu gründen.

Lieben Gruß
Matthias



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13 Nov 2016 22:39 - 13 Nov 2016 22:42 #7 von Nickel
Es ist ein Marken offenes Forum, und da kann man allgemeine Themen im allgemeinen Bereich posten und mit etwas kleineren Scheuklappen könnte man diese auch dort nachlesen.
Aber nein Ranger Ranger Ranger und das immer wieder....
Und sorry das ich mich in euren elitären Bereich traue :ironie:

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Letzte Änderung: 13 Nov 2016 22:42 von Nickel.

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13 Nov 2016 23:23 #8 von Stefan L.
Stefan L. antwortete auf Zuschaltbarer AllradAntrieb -Die Technik
Bei Interesse verschiebt das einer der Mods sicher gern. Aber hier was von wegen elitärer Bereich in Bezug auf Ranger Fahrer zu schreiben ist total daneben. MAB hat das hier gepostet weil es gut passt, das Thema seltsame Geräusche unterm Auto beim Abbiegen oder Einparken in 4H kam hier nämlich öfters hoch.
Außerdem gibt's auch Ausnahmen, was das ansonsten gängige Prinzip Zuschaltallrad bei PUs angeht, siehe Amarok oder L200. Insofern passt das dann auch nicht wirklich in den markenoffenen Teil des Forums, außer man beleuchtet alle anderen Antriebssysteme auch noch... Mach doch mal, Nickel.
Gute N8
Stefan

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14 Nov 2016 00:05 #9 von MAB
Hi Nickel,
da ich mich mit dem Ranger beschäftigt habe, habe ich es hier gepostet.

Gerne kann der Text auch anderweitig verwendet werden.

Aber ich wollte bestimmt niemand ausschließen.

MlG
MAB

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14 Nov 2016 00:11 - 14 Nov 2016 00:53 #10 von MAB
Hi schwarzer Drachen,
es ging mir bei dem Text nicht darum alles bis ins kleinste technische Detail genau zu beschreiben, sondern in verständlichen Worten auch für nicht so mit 4x4 vertrauten Fahrern zu erklären.

Die Funktion einer Kupplung ist allg. verständlich und beschreibt die Funktion in VTG recht gut, auch wenn es beim Ranger tatsächlich nicht eine klassische Kupplung ist (aber es gibt sie: kupplungsgesteuerter Allradantrieb: Eine starre Kupplung ohne Drehzahlausgleich oder eine automatische Kupplung (z. B. Visco-Kupplung)).

Was im Detail im VTG des Rangers steckt wird für den Einen oder den Anderen wohl auch von Interesse sein.

Gerne kannst du ja die Funktion eines VTG(Ranger u.a.) oder auch der Diff.Sperren mit ihren verschiedenen Techniken (Lamellen, Visco usw.) genauer erklären und so kommen wir dann gemeinsam wieder ein Stück weiter.

Vielen Dank.

MlG

MAB

Wer es genauer möchte:

z.B. hier:

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Letzte Änderung: 14 Nov 2016 00:53 von MAB.

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